Mittwoch, 16. Mai 2012
Volkshochschule Osnabrück
Grass polarisiert die und in VHS
Von links: Prof. Volker Neuhaus, Derk Steggewenz, Prof. Massarrat, Lioba Meyer, Prof. Heinrich Mohr, Dr. Stefan Lüddemann. (Foto: VHS Osnabrück)
Osnabrück - Für Viertel vor zehn hatte Moderatorin Lioba Meyer das Ende der
Veranstaltung angekündigt. Noch eine halbe Stunde später war genug
Gesprächsstoff vorhanden, um die Diskussion weiterzuführen. Der
Schlagabtausch zeigte: Das Gedicht „Was gesagt werden muss“ von
Günter Grass über einen möglichen Krieg zwischen Israel und dem
Iran, bewegt weiter. So unterschiedlich einige Positionen auch waren,
die meisten Zuhörer stimmten dem Fazit von Politikwissenschaftler
Prof. Dr. Mohssen Massarat zu: „Grass hat dafür gesorgt, dass
offener diskutiert wird.“ Neben
Massarat nahmen an der Diskussionsveranstaltung
Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Heinrich Mohr, Derk Olaf
Steggewentz (Erich Maria Remarque-Gesellschaft) sowie Dr. Stefan
Lüddemann (Neue Osnabrücker Zeitung) teil. Darüber hinaus
beteiligte sich der Germanist und Grass-Herausgeber Prof. Dr. Volker
Neuhaus als ausgewiesener Grass-Kenner an der Diskussion. In der
Veranstaltung wurden zahlreiche Punkte gestreift, zum Beispiel, ob es
sich bei dem Text überhaupt um ein Gedicht handelt. Hier äußerte
Lüddemann im Gegensatz zu Neuhaus Zweifel. Die beiden
Gesprächspartner gerieten noch lebhafter in der Frage aneinander, ob
Grass schon im Vorfeld über die Kritik von Henryk M. Broder
unterrichtet gewesen sein könnte, was Neuhaus zurückwies. Entscheidender
als Qualität und Vorgeschichte des Grass-Textes waren allerdings
zwei Aspekte: Stimmen die Vorwürfe, dass der Nobelpreisträger
Antisemit ist? Und: Wie sieht die politische Lage im Nahen und
Mittleren Osten aus? In der ersten Frage ergab sich schnell ein
einheitliches Meinungsbild: Mohr hatte in seinen einleitenden Worten
das Gedicht zunächst vorgetragen und dann analysiert („Der Autor
ist gequält und will quälen“). Sein Ergebnis lautete, dass das in
der Öffentlichkeit gezeichnete Bild über den Schriftsteller ein
„übles Phantasiebild“ sei. Zu
der politischen Situation äußerte sich Massarat ausführlich. Seine
Analyse: Seit Bekanntwerden des iranischen Atomprogramms habe sich
die Berichterstattung ausschließlich um den Iran gedreht, obwohl die
Konflikte in der Region vielschichtig seien: „Wir verschweigen seit
zehn Jahren den gesamten Sachverhalt und nennen immer nur die
Gefahren, die vom Iran ausgehen“, kritisierte der
Politikwissenschafter. In der Öffentlichkeit werde die Rolle Israels
hingegen nicht hinterfragt. Diese Darstellung teilten zahlreiche
Besucher, Lüddemann relativierte allerdings. Der Text von
„Überautorität“ Grass sei keine exklusive Stellungnahme, die
dargestellte Situation sei schon vorher in vielen Punkten bekannt
gewesen. Außerdem seien die Medien in ihrer Berichterstattung
keineswegs „ferngesteuert“, sondern hätten sich auch kritisch
mit der Politik Israels auseinandergesetzt.